Die Grenze als Festung und paradoxer Raum
Nationale Grenzen sind raumpolitische Konstrukte, obwohl sie oft durch landschaftliche Formationen wie Flüsse, Seen, Gebirgszüge und Wälder motiviert erscheinen.
Wir haben eine Vorstellung davon, dass Grenzen keine Linie, sondern eher Zonen mit besonderen Regeln sind.
Grenzräume lassen sich gut durch zwei entgegengesetzte Begriffe beschreiben: „Festung“ und „paradoxer Raum“ (Michel Pêcheux). Diese beiden Prinzipien von räumlicher Anordnung lassen uns verstehen, dass ein und dieselbe Grenze nicht denselben Sinn für alle Personen hat. Als politisches Konstrukt sind europäische Grenzen mobil geworden, eine eindeutige Unterscheidung von „Innen“ und „Außen“ existiert nicht mehr.
In dem Seminar Die Grenze als Festung und paradoxer Raum1 haben wir u.a. anhand verschiedener filmischer Beispiele historische und gegenwärtige politische Konstrukte und Regelwerke analysiert. Im Anschluss wurden physische und immaterielle Merkmale von Grenzarchitektur im Rahmen einer Exkursion in den Elsaß gemappt. Die daran anschließenden individuellen Recherchen entstanden als zweidimensionale kartographische Darstellungen. Die drei hier gezeigten Arbeiten von Minh Anh Nguyen, Philipp Kern und Hyeji Lee zeigen verschiedene Möglichkeiten der Darstellung eines Ortes und erzählen gleichzeitig drei Geschichten über Grenzorte oder vielmehr Grenz-Zonen. Die Geschichten haben einen biographischen Ursprung, entspringen einer Beobachtung durch Mapping nebst Netzrecherche oder verbinden geographische Recherche mit Vorgängen aus der Biologie zu einem vergleichenden Bild.
Minh Anh Nguyen
Minh Anh Nguyen, 1991, Grenzort: unbekannt. Mapping einer Fluchtroute von Vietnam, über die ehemalige Tschechoslowakei nach Ostdeutschland.
Vier vietnamesische Gastarbeiter:innen können sich nicht mehr daran erinnern, wo genau die Grenze lag, über die sie 1991 von der ehemaligen Tschechoslowakei nach Ostdeutschland geflüchtet sind. Über noch vorhandene Erinnerungen lässt sich jedoch fragmentarisch rekonstruieren, welche Route sie ab 1987 von Hà Nội aus zurückgelegt haben. Dabei stellt sich die Frage, ob neben den physischen Grenzen noch andere Hindernisse auftauchen, die es bei einer Flucht zu überwinden gilt.
Philipp Kern
Philipp Kern, A35 B9. 2:33 min Desktopaufnahme eines interaktiven Mappings der Autobahngrenze Scheibenhard (FR) und Scheibenhardt (DE).
24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche, ohne reguläre Grenzkontrolle verbindet der Autobahnübergang bei Scheibenhardt seit 1970 die französische Autobahn A35 mit der deutschen Bundesstraße B9. Als wichtiger Verkehrsknotenpunkt für den grenzüberschreitenden Güterverkehr verbringen LKW-Fahrer*innen aus ganz Europa hier ihre Nächte.
Hye Ji Lee
Hye Ji Lee, Die organische Verflechtung in Baarle. Videomapping des Grenzorts Baarle-Hertog (BE) und Baarle-Nassau (NL).
Die Grenzen von Baarle-Hertog und Baarle-Nassau sind so komplex miteinander verflochten, dass sie eine Patchwork-ähnliche geografische Besonderheit bilden. Einige Gebäude in dieser Region liegen auf beiden Seiten der Grenze und haben sowohl eine belgische als auch eine niederländische Adresse. Diese einzigartigen Merkmale wurden mit der selektiven Permeabilität der Zellmembran verglichen und durch Mappings visualisiert.
Footnotes
Die Grenze als Festung und paradoxer Raum war ein Seminar, das im Wintersemester 23/24 unter der Leitung von Prof. Constanze Fischbeck und Vera Gärtner im Fachbereich Ausstellungsdesign und Szenografie stattfand. ↑