Artwork

Die Kette zusammenhängender Begriffe

Das Gedicht, „Die Kette zusammenhängender Begriffe“ befindet sich auf der Rückseite eines Ölgemäldes das einen röhrenden Hirsch auf einer Waldlichtung zeigt. In der kollektiven Erinnerung hängt das Öl-Bild bei der Oma im Wohnzimmer.

Die Typografie der Wörter verändert sich von oben nach unten von Tannenberg Frakturschrift hinzu Futura Groteskschrift.

Die Begriffe sind Teil meiner umfangreicheren Recherche zu Unternehmen und deren politischer Eingebundenheit in der Zeit vor 1945. Wenn eine Firma vor 1945 existiert hat in Deutschland, hat sie oft von Zwangsarbeit profitiert und mit den Nazionalsozialisten kooperiert oder sich zumindest mit ihnen arrangiert, das ist keine neue Erkenntnis und darum geht es mir nicht. Mich interessieren die Mechanismen des Vergessenmachens dieser Geschichte bei großen Konzernen, also das Überschreiben eines bestimmten Narrativs mit einem neuen, passenderen, das diese Geschichte ausblendet. Anhand der Spirituose Jägermeister aus Deutschland und dessen Markenpolitik, lässt sich das ganz gut veranschaulichen.

Die Marketingkampagne des Kräuterlikörs Jägermeister zählt zu den zehn erfolgreichsten Marketingstrategien weltweit, in denen es darum geht das Image und die Zielgruppen neu zu definieren.

Jägermeister wurde 1935 eingeführt, Göring war damals Reichjägermeister und so wurde der Jägermeister u.a. auch Göring Schnaps genannt, die Flasche zeigt den Hubertushirsch.

In den 1970ern bedienten sie sich rassistischer und sexistischer Stereotypen in der Werbung. Indem sie dann in den Anfängen der 1990er Jahre mit einem sinkenden Absatzmarkt zu kämpfen hatten, mussten sie neue Zielgruppen erschließen. Und dann kam die Clubszene als Absatzort anstatt der Stammtische in den Eckkneipen in den Fokus, wo das als eisgekühlter Shot serviert wurde z.T. von sog. Jägeretten, jungen leicht bekleideten Frauen. Da gab es Miss Arschgeweih Wettbewerbe in den Clubs, wo für das schönste Geweihtatoo über dem Po gekührt wurde, da die Hauptzielgruppe junge Männer waren. Zur Zeit liegt der größte Absatzmarkt in den USA und Jägermeister gilt als eines der erfolgreichsten Getränke aus Deutschland überhaupt.

Jedes Wort in dieser Arbeit beinhaltet ein ganzes Kabinett von Untersuchungen und weitere kleinere Arbeiten, zu bestimmten spielerischen Assoziationen und Kontexten des Schnapses, mit denen es für mich in Verbindung steht. Mit der Konzentrierung und untereinander Reihung der Begriffe, bringe ich sie in inhaltlich Nachbarschaften, die Wörter durchdringen sich gegenseitig, färben aufeinander ab, verunreinigen sich gegenseitig und diese Metonymien formen und entwickeln eine verkettete Geschichte und Kontexte, sie lassen sich in beide Richtungen lesen und zurückverfolgen.

Vom Jägermeister aus zum Deutschen Wald als Topoi, von wo ja auch Nazi Politik aus gemacht wurde, u.a. vom Jagdschloss von Göring aus.  Dann der Shot als Spirituose, aber auch als Schuss. Hier kippt das Ganze für mich: Von getroffen zu betroffen. Betroffenheitsrhetorik und Opferideologie – mit den letzten zwei Wörtern wollte ich die Narrativverschiebung noch einmal aufzeigen. 

Als insbesondere in den 90er Jahren, den sog. Baseballschlägerjahren Neo-Nazis viele Morde, auch Lynchmorde an migrantisierten Menschen begingen, haben sie das oft stark betrunken gemacht und dadurch Straferleichterungen wegen Unzurechnungsfähigkeit erwirkt.

Wenn man das jetzt aus der anderen Perspektive betrachtet, nämlich Menschen, denen deren Angehörige ermordet wurden, deren Freunde gelyncht wurden, die jetzt nicht mehr auf die Straße gehen können, ohne davor die Nachrichten zu checken, ob gerade vielleicht wieder ein rechter Mob in der Stadt unterwegs ist, weil das sich so tief eingebrannt hat und zu einem traumatischen Unsicherheitsgefühl geführt hat – wenn diese Leute über ihre Erfahrungen sprechen, meistens medial mit Jahrestagskonjunkturen, dann wird das immer sehr gern abgekürzt. So in Richtung: „Ach das ist ja eine eingeengte Betroffenenperspektive, schon wieder Betroffenheitsrhetorik und Opferideologie, irgendwann ist ja auch mal gut...“

Worauf ich hinweisen möchte, ist dieses Zusammenspiel von einem Überschreiben, was einerseits einfach hingenommen und gefeiert wird aufgrund z.B. ökonomischer Interessen und auf der anderen Seite diese Un-Möglichkeit auf diese Ereignisse und Morde hinzuweisen, ohne dafür selber angegriffen oder delegitimiert zu werden.

Moshtari Hilal und Sinthujan Varatharajah haben 2021 während eines Instagram-Live-Gesprächs über das Thema Nazierbe und dessen Kontinuitäten den Begriff Nazihintergrund in den Fokus gebracht. Und ich glaube, dass durch das Ausradieren und silencen eines situierten migrantischen Wissens, bestimmte Wahrheiten verklärt und verdeckt werden. Und wir eigentlich darauf angewiesen sind, diesen Stimmen zuzuhören und das Zuhören zu einer politischen Praxis zu machen, um einer Geschichtsvergessenheit entgegenzuwirken-auch wenn es unbequem ist.

About the author

Ülkü Süngün

Published on 2024-01-18 19:45