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7QM – Innen(an)sichten

Mascha Dilger untersucht in ihrer Diplomarbeit die Parameter sanktionierender Räume: 7QM – Innen(an)sichten ist eine multimediale Ausstellung, die sich mit dem „Lebensalltag“ in Gefängniszellen beschäftigt.

Inhaftierte leben in engen, geschlossenen Räumen mit kaum persönlicher, häufig standardisierter,1 fest verankerter,2 textilloser,3 Ausstattung4 in denen sie permanenter Überwachung und Kontrolle sowie streng geregelten Tagesabläufen ausgesetzt sind – was passiert mit dem Individuum unter diesen Lebensbedingungen?

Die Arbeit beleuchtet, wie aus einem fremdbestimmten, rasterartigen Alltag einer totalen Institution,5 Versuche der geistigen Flucht6 und der Selbstbestimmtheit hervorgehen können. Es werden ortsspezifische und subkulturelle Erscheinungsformen betrachtet, die als Überlebensstrategien zu verstehen sind.

Die Ausstellung stellt die Perspektive zweier ehemaliger Inhaftierter in den Vordergrund. Sie erzählen in Audioaufnahmen, was es bedeutet unter Freiheitsentzug zu leben.

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Über mehrere Videosequenzen erfahren Besucher:innen von kreativen Handlungen, die als geistige Ausbrüche aus dem System Gefängnis zu lesen sind.

In ihrer Recherche sprach Mascha Dilger mit unterschiedlichen Expert:innen: mit Architekten, einer Möbelfirma, Pädagoginnen, Kriminologinnen, Sozialarbeitern und Justizvollzugsangestellten.

7QM – Innen(an)sichten wurde am 11. und 12.07.2023 im großen Studio der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe gezeigt. Zur Recherche und Ausstellung ist eine Materialsammlung unter dem gleichnamigen Titel entstanden.

Credits
Audio: Badaue (gesprochen von Jeremias Beckford) und Alexia Metge
Video: Tibor Pilz (Kamera & Schnitt), Alexander Thelen (Sounddesign), Katja Koch (Regieassistenz), Mischa Schneider (Hände)
Setbau: Uwe Habel
Strickerei: Hannah Cooke
Licht: Luise Peschko
Gedächtnisprotokoll: Corinne Riepert
Textlektorat: Leonie Mühlen

Footnotes

  1. „Sobald dem Insassen seine persönliche Habe genommen ist, muß zumindest einigesdurch die Anstalt ersetzt werden; dies erfolgt jedoch in standardisierter Form. Die betreffenden Gegenstände wie die Art der Verteilung sind uniform. Diese Ersatzgegenstände sind deutlich als der Anstalt gehörend gekennzeichnet und in manchen Fällen werden sie in regelmäßigen Abständen eingefordert, so als sollten sie von Spuren der Identifikation gereinigt werden. (...) Diese Enteignung der persönlichen Habe wird in ihrer Wirkung dadurch verstärkt (...) daß die angesammelten Habseligkeiten von Zeit zu Zeit durchsucht und beschlagnahmt werden. (...) Eine Garnitur persönlicher Sachen hat eine besondere Bedeutung für das Selbst des Individuums. Der Einzelne nimmt normalerweise an, daß ihm eine gewisse Kontrolle darüber zusteht, in welcher Gestalt er vor anderen erscheinen will. Zu diesem Zweck benötigt er sowohl kosmetische Artikel und Kleidung als auch bestimmte Geräte, um jene zu verwenden, in Ordnung zu halten und zu reparieren“ (Erving Goffman, Asyle. Über die soziale Situation psychatrischer Patienten und anderer Insassen, 22. Auflage 2020, Erste Auflage 1973, Suhrkamp Verlag, S. 29).

  2. „Die extrem robusten Sitzmöbel der Ryno®-Serie sind für viele Bereiche geeignet; (...) Für Umgebungen mit hohem Gewaltpotential können alle Modelle stark beschwert werden (Ryno®-Stühle haben ein Gewicht von bis zu 90 kg) oder sicher am Boden befestigt werden, um maximale Sicherheit zu gewährleisten.“ (www.pineapplecontracts.com/product-category/ryno/ryno-sitzmoebel, 17. Juni 2023).

  3. „Gestraft wird auch mit dem Entzug von Textilien. Diese Methodik kann funktionieren, weil Textilien im Alltagsleben omnipräsent sind und zu den vertrauten Umgangserfahrungen eines jeden Menschen gehören (…) Es ist gerade der Entzug dieser Materialen und räumlichen Vertrautheiten, der im Strafvollzug und in der Psychiatrie zum Instru ment von Deprivation werden kann.“ > Deprivation = Entzug von Privatheit (Heidi Helmhold, Affektpolitik und Raum, Kapitel: „Strafende Räume,“ Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln, 2012, S. 97).

  4. „Klinische Sauberkeit wird hier gesteigert durch metallische Oberflächen, Hochglanzlackierungen, gleißendes Licht, akustische Isolierung, saugende Dunkelheit (...) Die Hafträume scheinen wie gegossen (...) allgegenwärtiges Weiß an Wänden, Boden, Decke (...) Dieses System agiert ästhetisch: das verchromte Pissoir vor der weißen Wand (...) die orangefarbenen Overalls...Strafen als Bild der perfekten Oberflächen.“ (Heidi Helmhold, 2012, S. 101).

  5. „Eine totale Institution läßt sich als Wohn- und Arbeitsstätte einer Vielzahl ähnlich gestellter Individuen definieren, die für längere Zeit von der übrigen Gesellschaft abgeschnitten sind und miteinander ein abgeschlossenes, formal reglementiertes Leben führen.“ (Erving Goffman, 2020, S. 11).

  6. „Das Phänomen spontaner persönlicher Einschreibungen an Wänden – man denke an öffentliche Toiletten, Aussichtstürme oder Schulbänke – zeigt das Bedürfnis nach Kommunikation und individuellem Ausdruck von Gedanken und Gefühlen. Das sich Verewigen durch Kritzeleien ist gleichzeitig auch eine Ortsmarkierung, ein Zeichen des Protests und ein Nachweis dafür, an eben jenem Ort gewesen zu sein. Solche Orte sind häufig gleichzeitig auch Stätten einer Schicksalsgemeinschaft, die als ‚Quelle der Repression empfunden werden‘ (Fischer 2002), wie es auch auf die Gefängniszelle zutrifft. Wir vermuten, dass es offenbar ein Bedürfnis gibt, sich nachfolgenden Zellenbewohnern mitzuteilen. (...) in der JVA wird das Verlangen nach kommunikativem bzw. künstlerischem Ausdruck weitestgehend unterdrückt. Die eigene Kreativität im Haftraum auszuleben kann auf den ersten Blick nur in geringem Ausmaß verwirklicht werden“ (Tanja Brock, Leonie Häsler, Elisabeth Müller, Oliver Seiler: Zellen und Raum. Wie Inhaftierte individuelle Freiräume konstruieren, Universität Siegen, Lehrstuhl für Mediengeschichte und Visuelle Kultur, Lehrforschungsprojekt „KnastMedien,“ 2011/2012, S. 38, https://dspace.ub.uni-siegen.de/handle/ubsi/611?mode=full).

About the author

Mascha Dilger

Published on 2024-01-18 19:45